Sonntag, 29. Dezember 2013

Tagebuch Z - Rednecks

Der Wind rauschte in den Wipfeln und trug den Gesang der Vögel in meine Ohren. Ich kam zu mir...

Ich war allein am Strand... Nein, kein Strand. An einem verlassenem Kai nahmen die Rezeptoren meiner Augen das erste Licht wahr. Das war gut und schlecht zugleich. Gut, weil ich sicher etwas gegen den Durst finden würde. Schlecht, weil sicherlich ein Untoter etwas gegen mich hätte.

Und so kam es, wie es kommen musste; Auf dem Weg in die Stadt musste ich vor zwei Untoten fliehen. Die Stadt, ich vermutete es war Chernogorsk, war ein Segen. Relativ schnell fand ich in den Ruinen einen lädierten Rucksack, in dem ich etwas Proviant verstauen konnte. Ich wusste nur nicht was schlimmer war. Krampfender Hunger ohne irgendetwas Essbares in Aussicht zu haben oder selbiges Gefühl mit einer leckeren Dose Spaghetti in den Händen, ohne Möglichkeit an den Inhalt zu kommen. Ein postapokalyptisches Reich für einen Dosenöffner!

 Das wäre wohl zuviel verlangt gewesen. Ich suchte nach etwas Anderem. Vielleicht einen Schraubenzieher, um wenigstens ein Loch in die verdammte Dose zu bekommen. Ich suchte und suchte, floh vor Zombies, dessen Gestöhne jedesmal das Blut in meinen Adern gefroren ließ, mied jegliche Hauptstraßen, aus Angst, ein anderer Überlebender könnte mir meine Dose wegnehmen wollen. Oder mein Leben gleich mit. Die Stadt war ein Fluch!
Spätestens jetzt würde mein grummelnder Magen jegliche Zombies zwischen Elektrozavodsk und Balota anlocken. Zufällig kam ich an einer alten Feuerwache vorbei und erkundete die Räume. Ich hatte wohl doch etwas Karmabonus: In einer unscheinbaren Ecke lag sie. Meine Rettung und der Vollstrecker zugleich. Eine nagelneue Feuerwehraxt! Ich dachte daran, wie sie sich durch untote Schädel schneiden würde wie ein warmes Messer durch Butter...essen...Spaghetti! Was könnte eine dünnwandige Weißblechdose schon 3,5 Kilo eisgehärteten Stahl an einem Stück Eiche entgegensetzen? Den Verlust ihres Inhaltes! Verdammt, zumindest blieben mir gut zwei Drittel Nudeln und ich füllte das Loch in meinem Bauch.
Am nördlichen Stadtrand traf ich auf Floppy. Einen Freund aus den Tagen vor diesem ganzen Wahnsinn. Naja, eigentlich eine Freundin. Sein/Ihr Äußeres glich dem einer Rekrutin aus der Army. Mit Dutt. Aber seine Stimme verkörperte einen liebevollen Riesen mit Rauschebart. Auch Floppy hatte sich schon seit einiger Zeit durch die Stadt geschlagen und konnte etwas Proviant und eine Axt ergattern. Wir entschlossen uns, Chernogorsk den Rücken zu kehren und in das Landesinnere zu ziehen. Ein Gefühl, schon fast einer Erinnerung gleichend, sagte uns, dass fremde Überlebende weitaus gefährlicher sind als die verdammten Untoten...
So liefen wir zwischen zwei Plattenbausiedlungen in den Norden. Da! Vor uns! Gerade so in Sichtweite, waren uns zwei Lebende voraus. In uns fochten Hirn und Herz einen Kampf aus. Das Hirn gewann. Wir wollten die Beiden erledigen. Doch sie waren zu schnell für unseren müden Füße. Ohne dass sie uns entdeckten, verschwanden sie an der nächsten Straßenkreuzung.
In einem kleinen Ort fanden wir einen Brunnen. Das kühle Nass floss unsere Kehlen herunter wie... Schei*e... Zwei Überlebende liefen über die Straße direkt neben uns! Sofort schnappten wir uns die Äxte vom Rücken. Sie waren offensichtlich mindestens so überrascht wie wir und beteuerten, sie wollten keinen Kampf. Ihre Äxte gegen unsere. Irgendjemand hätte verloren. So sicherten wir unseren Brunnen und die anderen beiden zogen weiter. Ich schaute ihnen noch lange nach. Und so lange sie in Sichtweite waren, kehrten sie uns nicht einmal den Rücken zu. Was für eine Welt, in der das Unsichtbare dermaßen Angst verbreitet.
Floppys und mein Weg trennte sich danach zunächst. Er wollte sich ein Plätzchen zum Schlafen suchen. Mich trieb es weiter in den Nordwesten. Wir verabredeten einen Treffpunkt und verabschiedeten uns. Ich wollte nach Zelenogorsk. Ich hörte dort gäbe es eine verlassene Kaserne. Das wäre zwar gefährlich, könnte jedoch auch zu meinem Vorteil sein. Unterwegs traf ich ein paar verlorene Seelen. Untote, die in der Gegend standen wie Bäume im Wald. Solange man leise war. Was ging wohl in ihren Köpfen vor? Ich beantwortete diese Frage mit: "Meine Axt!".

So zog ich weiter. Selbst auf den verlassendsten Waldwegen war ich auf der Hut vor Homo Sapiens Sapiens. Dem vernunftbegabten Wesen.. Da! Eine Bewegung mitten im Wald.

Ich zückte meinen besten Freund, die Axt, pirschte mich an und entdeckte... einen Hasen. Das erste lebende Wesen, dass mir nicht direkt an den Kragen wollte. Von Floppy mal abgesehen. Diesmal siegte mein Magen über das Herz und ich stellte mir gebratenen Hasen vor... mhhhmmmm. Ich versuchte ihn zu erlegen, hastete ihm hinterher und hatte ihn fast erwischt, da schien er in eine Art Schockstarre zu fallen. Ich schaute in seine großen Augen und.... konnte ihn nicht töten. Ich konnte es einfach nicht.

Als ich kurz vor Zelenogorsk war, ließ der Anblick des Kirchturmes - nein, doch eher die Wachtürme der Kaserne - mein Herz pulsieren. Ich war sicher nicht der Einzige, der versuchte, dort etwas abgreifen zu können. Ich schlich mich an, schaute lieber zwei mal nach hinten und betrat das kleine Gelände. Alle Türen waren noch verschlossen. Es schien niemand vor mir hier gewesen zu sein. Während mein Herz von innen gegen meinen Brustkorb schlug wie ein Presslufthammer auf Asphalt, durchstöberte ich die Baracken. Ich war im postapokalyptischen Himmel. Ein großer Wanderrucksack, ein M4 Sturmgewehr, ein passender Schalldämpfer, eine Militärweste und jede Menge Munition ließen mich größer und aufrechter wachsen als es der Realität entsprach. Schnell suchte ich mir ein sicheres Versteck für die Nachtruhe. Übermut tut selten gut...

Am nächsten Tag traf ich Floppy auf "meinem" idyllischen Apfelhain. Unser Treffpunkt. Auch er hatte sich in der Kaserne ausrüsten können. So dass wir selbstsicher im Ort auf die Suche nach Nahrung gingen. In einer Garage fand Floppy eine Karnevalsmaske. Was hatten Menschen doch einst Spaß gehabt. Wir füllten noch unsere Feldflaschen an einem Brunnen und machten uns weiter auf den Weg in Richtung Norden. Dort sollte es einen verlassenen Flugplatz geben.

Gut gerüstet mit Waffen, Munition und Nahrung mieden wir trotzdem die Straßen. Wir wollten keinem Irren begegnen, der uns um unser Hab und Gut bringen würde. So orientierten wir uns an markanten Punkten in der Landschaft, der Sonne und dem guten Kompass. Wir rasteten an einer kleinen Baumgruppe, umgeben von weitläufigen Feldern. Keine Menschenseele außer uns beiden und... einem Zombie. Ein Zombie der weit, weit entfernt an einer entlegenen Scheune stand und seinem Dasein in stiller Stasis fristete. Floppy kam auf die Idee, ihn von seinem Leid zu erlösen und gleichzeitig das "Long Range Scope" an seinem Jagdgewehr zu testen. Ich war sofort begeistert. Was nützen uns schon eine M4 und ein Scharfschützengewehr mit Zielfernrohr, wenn man keine Erfahrung im Umgang damit hat?

Floppys graziler Anmut machte sich bereit. Im Schutz der schattenspendenen Baumkronen legte er sich hin, peilte das arme Geschöpf an - ich hockte wie ein aufgeregter Schuljunge daneben - und schoss.
Nichts passierte. Der Zombie ließ sich nicht einmal durch die an ihm vorbeizischende Kugel aus der Ruhe bringen. Nächster Versuch: Ruhig bleiben.... einatmen.... ausatmen... und Schuss. In der Ferne sah ich das arme, untote Bündel zusammenknicken. Gut, dass wir üben. Wir waren noch voller Euphorie, da schlugen direkt neben mir Kugeln ein. Ich wusste gar nicht wie mir geschah, alles passierte in Bruchteilen einer Sekunde. Hatte Floppy den Abzug beim Aufstehen aus Versehen betätigt? Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gebracht.... Schwarz.
Mein Unterbewusstsein rief Floppy zu: "Ich glaube ich bin..." Noch während sich der Schleier des Unvermeidbaren auf meine Augen legte, hörte ich ihn schreien und schießen. Doch auch dann verstummte er. Was war geschehen? Wie konnten wir, inmitten dieser Einöde aus Feldern und Wiesen, unter Beschuss geraten? Während meiner kurzen Reise zu meinem Schöpfer hörte ich Schritte neben mir und jemand sagte:

"You Rednecks!"

Das letzte was ich dachte, war: Wer auch immer uns hinterlistig ermordet hat, hatte Recht. Wir waren verdammte Rednecks.

Der Wind rauschte in den Wipfeln und trug den Gesang der Vögel in meine Ohren. Ich schied von dieser Welt...


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