Montag, 26. Februar 2018

Die erste Reise V - Erkundertagebuch, 25. Februar 3304

Als ich aufwache torkel ich noch etwas schlaftrunken in das Cockpit und überprüfe die Systeme. Nicht dass mich eines der Wrackteile gerammt und Schäden an der Hülle verursacht hat. Zum Glück sieht alles normal aus. Ich schaue in alle möglichen Richtungen aus der Kanzel. Das Trümmerfeld ist jedoch verschwunden. Seltsam. Eigentlich hatte ich mich deren Orbit angeglichen. Habe ich nur geträumt? Während ich darüber nachdenke, stoße ich mit dem Kopf gegen das Glockenspiel von 39 Tauri. Ich verstaue es vorsichtig in meiner Kiste und beschließe, den verlorenen Erkunder ziehen zu lassen.
Nach vorne schauen ist die Devise. Vor mir liegt eine kleine Wasserwelt mit nur 0,25 Erdmassen. In Gedanken gleite ich hinab und tauche in das kühle Nass... Ich bin wirklich noch ganz verträumt.

Anflug auf den Quallennebel.



Mein heutiges Ziel ist der Quallennebel. Er liegt weiter in Richtung Rand der Galaxie. Weit bin ich gar nicht mehr entfernt. Ich starte die Triebwerke und begebe mich in den Supercruise. Kurz nachdem ich den Planeten und das Licht seiner Sonne hinter mir gelassen habe, taucht der Nebel diffus am Himmelszelt auf. Die Form ist kaum definierbar, so verschwommen leuchtet das ionisierte Gas. Wer auch immer eine Qualle als Bezeichnung gewählt hat, lag gar nicht so verkehrt.
Die nächsten Sprünge verlaufen ruhig. Kurz vor dem Quallennebel lege ich einen kurzen Zwischenstopp ein und plane die von mir zu besuchenden Systeme innerhalb des Nebels.

Ein Neutronenstern, eingebettet im Quallennebel.

Ich staune nicht schlecht, als ich auf der Galaxiekarte die verzeichnete Position eines Neutronensternes, mitten im Quallennebel, entdecke. Ich überlege nicht lange und wähle das System als nächstes Ziel.
Ich weiß, dass diese bizarren Objekte nicht ungefährlich sind. Besonders wenn man aus dem Witch-Space austritt, benötigt man die volle Konzentration. Es ist schon eine Weile her, dass ich einen Neutronenstern mit eigenen Augen gesehen habe. Ich bin mir auch nicht mehr sicher, welcher es war. Aber ganz gemächlich strahlte er seine Jets in die Weiten des Alls. Die kühnsten Piloten unter den Erkundern sollen diesen Strahlungsauswurf nutzen um ihren Frameshift-Antrieb zu überladen und besonders weit springen zu können. Nach meiner Rückkehr muss ich mal einen erfahreneren Piloten danach fragen. 3 - 2 - 1 ... Die vertraute Stimme des Bordcomputers teilt mir meinen Anflug auf dieses ungewöhnliche astronomische Objekt mit.

Wild peitscht die Strahlung des Neutronensterns.

Ich komme gerade aus dem Hyperraum-Sprung und erkenne bereits die ausladenen Jets der Strahlungsauswürfe. Es dauert eine Sekunde bis ich realisiere, dass dieser Neutronenstern anders ist als der, an den ich mich erinnere. Die Lichtkegel der ausgehenden Strahlung peitschen wütend in den Raum. Die Geschwindigkeit mit der sich die Jets bewegen ist unglaublich. Ich kontrolliere die Distanz. Nur 0,38 ls trennen mich von diesem verrückten Objekt. Mein Puls steigt.
Bewegt sich der eine Kegel auf mich zu? Selbstverständlich rotiert der Neutronenstern. Aber verändert er auch seine Rotationsachse? Ich möchte nicht herausfinden was passiert wenn mich der Strahlungsauswurf seitlich oder sogar frontal erwischt. Ich drücke die Schubkontrolle von mir weg und ziehe den Knüppel zu mir. Gleichzeitig schaue ich mich um und versuche den Weg der Strahlen zu verfolgen. Ich muss mich erst einmal in eine Sichere Distanz bringen.

Kein alltäglicher Anblick.

Nachdem ich mich auf einen Abstand von ungefähr 4 ls entfernt habe, kann ich den Anblick dieses Exoten in Ruhe genießen. Ich bin nach wie vor fasziniert von der Geschwindigkeit, mit der sich die ausgestoßene Strahlung bewegt. Bedenkt man die Größe dieser Jets, wirkt die schnelle Bewegung noch viel gewaltiger.
Lange war mir selbst nicht klar, wie ein Objekt dieser Größe - und vor allem Masse - sich "von alleine" so schnell drehen kann. Dass Objekte wie Sonne oder Erde einen Drehimpuls haben, kann man sich vielleicht noch vorstellen. Aber ein Neutronenstern rotiert bis zu 1000 mal pro Sekunde um seine eigene Achse. Bei einer Masse von vielen Sonnen. Dieser so genannte Piroutteneffekt lässt sich tatsächlich gut mit Eiskunstlauf vergleichen. Jeder der sich auf Schlittschuhen oder einem kleinen Karussell schon einmal gedreht hat, sollte diesen Effekt kennen. Ein drehbarer Schreibtischstuhl eignet sich übrigens ebenfalls wunderbar. Dreht man sich mit ausgestreckten Armen und zieht diese dann zu sich zum Körper, erhöht sich die eigene Drehgeschwindigkeit.
Ein Neutronenstern ist in seinem vorherigen Leben ein massereicher Stern aus der Hauptreihe gewesen. Aufgrund seiner Entstehung aus einer Akkretionsscheibe besitzt er einen natürlichen Drehimpuls. Am Ende seines Lebens kann sich der Stern auf ein Hunderttausendstel seines Durchmessers verkleinern, unter Beibehaltung eines Großteils seiner Masse. Der hierbei auftretende Piroutteneffekt sorgt, wie bei den angezogenen Armen auf dem Schreibtischstuhl, für eine starke Erhöhung der Eigenrotation.

Ein faszinierender Anblick.
Ich bin wahrlich fasziniert und habe komplett die Zeit vergessen. Und eine wichtige Entscheidung steht bevor. Kurz bevor ich den Neutronenstern im Quallennebel erreicht habe, empfing ich eine Nachricht. Zunächst wunderte ich mich, warum und von wem ich hier draußen eine Nachricht bekomme. Es war tatsächlich Professor Palin, der mich darauf hinwies, dass ich die geforderten 5000 Lichtjahre hinter mich gebracht hatte. Eines meiner Ziele ist damit erreicht. Der Affenkopfnebel, den ich ursprünglich als räumliches Ziel ausgewählt hatte, liegt jedoch noch gut 1000 Lichtjahre weiter von der Blase entfernt. Ich hatte die Entfernung bei der ursprünglichen Planung nur grob überschlagen.
Drehe ich um, in Richtung Heimat, oder entferne ich mich noch weiter, auf dem Weg das ursprünglich gesetzte Ziel zu erreichen? Eigentlich wollte ich morgen schon wieder daheim sein, in Rhea andocken und meine gesammelten Daten der Universal Cartographics überreichen. Auf der anderen Seite hatte ich die ganze Zeit den Affenkopfnebel auf meinem gedanklichen Schirm.
Wenn ich jetzt umdrehe, werde ich immer an diesen Nebel denken den ich erreichen wollte aber kurz vorher umgedreht bin. Das fühlt sich nicht richtig an. Lieber verspäte ich mich ein paar Tage.

Mit der getroffenen Entscheidung setze ich einen Kurs in Richtung Affenkopfnebel. Die Heimat muss warten.

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